„Was machst du da?“, fragte der kleine Prinz und kam näher. „Astrofotos“ sagte ich, ohne aufzublicken. „Bitte nicht so feste auftreten, das Bild wird sonst unscharf.“ Er wich ein wenig zurück. Erst jetzt löste ich meinen Blick vom Bildschirm und erkannte ihn. „Oh, entschuldige, ich wollte nicht unhöflich sein, schau dich ruhig um. Zu deiner Frage: Ich mache Fotos von Sternen, von Planeten, Galaxien, Nebeln, vom Mond und Kometen und solchen Dingen. Aber damit kann ich auch später weitermachen.“
Der kleine Prinz kam wieder näher und begutachtete meine Ausrüstung. „Ein Celestron C11 auf EQ6“, meinte er kennerisch, „für Mond und Planeten sicher gut geeignet. Aber für sehr schwache Objekte, ist das Fernrohr dafür nicht zu lichtschwach?“ „Nun“, sagte ich, überrascht von seinem Sachverstand, „ für diese Objekte nutze ich eine Brennweitenverkürzung. Die Lichtstärke steigt dabei auf Blende 5, die Brennweite beträgt dann 1400 mm.“ Er nickte anerkennend und ging vorsichtig um die Montierung herum. „Und deine Kamera?“ fragte er. „Ich habe zwei“ entgegnete ich. „Eine ASI 178 Monokamera und eine ASI 178 Farbkamera.“ Wieder nickte er. „Gekühlt oder ungekühlt?“ So viel Wissen um die aktuellen Astrokameras hätte ich ihm wirklich nicht zugetraut. „Ungekühlt“, meinte ich etwas verwirrt. „Ich brauche keine Kühlung, ein Einzelbild ist bei mir meist nur zwei Sekunden lang, neuerdings mit dem Dobson sogar nur eine halbe oder sogar nur eine viertel, das thermische Rauschen spielt da keine Rolle“.
Jetzt schaute er mich direkt an und runzelte die Stirn. „Das ist ja interessant. Warum machst du das?“ „Die Luftunruhe“, antwortete ich, „so kann ich schärfere Bilder machen, hinterher beim Stacken, da werden die kurz belichteten Bilder viel genauer überlagert .“ „Und, funktioniert das?“ „Ja schon“, sagte ich, „aber auf einigermaßen ruhige Luft muss ich trotzdem warten.“ „Interessant“, bemerkte er nun schon zum zweiten Mal, „dann ist das also Lucky Imaging?“ „Nein, nein“, entgegnete ich, „ich verwende alle Bilder. Wenn du so willst, dann simuliere sozusagen eine aktive Optik, und sogar ein bisschen eine adaptive Optik, bei der Nachbearbeitung.“
Der kleine Prinz aber war in Gedanken schon weiter. „Und was machst du, wenn die Luft sehr unruhig ist?“ „Dafür habe ich das hier“, sagte ich und tätschelte meine beiden Teleobjektive. „Bei 135 mm Brennweite ist die Luftunruhe nicht so wichtig.“ „Stimmt“, sagte er und schaute sich die Objektive an. „Samyang, Offenblende 2,0?“ „Ja“, bestätigte ich und war schon wieder erstaunt. „Ich nutze sie aber bei Blende 2,4 oder 2,8.“ „Und der Dobson dort, bist du auch visuell unterwegs?“ fragte er. „Nö“, schmunzelte ich und war etwas stolz, dass der kleine Prinz das nicht sofort erkannte. „0,2 bis 0,5 Sekunden für eine Einzelbelichtung, das kann ich auch mit einem Dobson machen, die Bildfelddrehung wird beim Stacken korrigiert.“ „Interessant, interessant“, sagte der kleine Prinz eher zu sich als zu mir. „Das bedeutet viel Bildbearbeitung, nicht wahr?“ „Ja schon, aber das macht mir auch Spaß.“
Ein kühler Luftzug ließ die Bäume rascheln. Dem kleinen Prinzen fröstelte ein wenig. Da, wo er herkam, war es sicher wärmer. „Soll ich dir eine Decke holen?“ „Ach nein“, meinte er, „es geht schon. Aber warum baust du eigentlich kein Haus um deine Teleskope, dann hättest du es ein wenig wärmer und wärst geschützter. Eines mit so einem Dach, das man wegrollen kann?“ „Dann wäre ich ja wieder in einem Haus“, sagte ich und war erstaunt, dass er das nicht sofort verstand. „Ich mag es, wenn es neben mir raschelt und ein Igel mit trockenen Blättern spielt, oder wenn ich die Fledermäuse sehe, mit denen zusammen ich die Nacht beginne. Und die Schleiereulen mag ich besonders, die so lautlos durch die Luft fliegen. Und die Leuchtkäfer, und das Schnauben der Pferde auf der Weide...“ „Und die Sternschnuppen“, ergänzte jetzt mein Freund. „Ja“, sagte ich freudig, da er mich verstand, „das alles würde ich nicht bemerken, wenn ich in einem Haus sitzen würde.“ „Und magst du es auch, ganz alleine wach zu sein, wenn alle anderen schon schlafen?“ „Oh ja“, entgegnete ich. „Dann sind auch kalte Finger oder kalte Füße nicht so wichtig.“ Er schaute mich an und nickte zweimal langsam.
„Hmm“, sagte er nun wieder und wechselte das Thema. „Sag mal, warum machst du das alles eigentlich? Das mit den Fotos von den Sternen und so? Ist das nicht nutzlos?“ „Nutzlos?“, fuhr ich ihn an. „Alles ist doch nutzlos, wenn man nur genau hinschaut, oder?“ Er merkte, dass mir die Frage nicht gefiel. „Entschuldige, ich wollte dich nicht kränken, ich wollte dich nur besser verstehen lernen. Aber die großen Leute, also die richtigen Wissenschaftler, die haben mit ihren Weltraumteleskopen doch schon alles fotografiert. Warum machst du das ... als, als — er suchte nach einem Wort — als kleiner Wissenschaftler noch einmal?“ Jetzt wusste ich, worauf er hinaus wollte. Ich lächelte ihn an und sagte, vielleicht sogar ein bisschen schnippisch: „Ich bin aber kein kleiner Wissenschaftler.“ Er schaute in den Himmel, es vergingen einige Momente, dann wandte er sich mir wieder zu: „Was bist du dann?“ Meine Antwort kam etwas zögerlich: „Ein Träumer vielleicht?“ Dann präzisierte ich: „Ein interessierter Träumer!“ Außerdem finde ich es spannend, meine Ausrüstung unter den gegebenen Bedingungen so richtig auszureizen. Die Antwort schien ihm zu gefallen, zumindest hakte er nicht weiter nach.
„Hast du auch ein Foto von meinem Planeten?“ Und tatsächlich, ich hatte seinen Planeten schon einmal fotografiert. „Das ist ein Kleinplanet, nicht wahr?“ „Ja, sehr klein“, antwortete er. „Doch er hat alles, was man so braucht. Sogar einen kleinen Vulkan.“ Ich suchte im Unterordner „Kleinplaneten“ nach der Heimat meines Freundes. „Hier, das ist er!“ Der kleine Prinz beugte sich über den Bildschirm und schaute genau hin. „Kannst du mal auf hundert Prozent klicken?“, fragte er. Na ja, sagte ich entschuldigend und tat wie mir geheißen: „Es könnte schärfer sein — die Luftunruhe, du verstehst?“ „Ich sehe gar nichts“, bemerkte er enttäuscht, „nur ein verwaschenes Pünktchen.“
„Das sagst ausgerechnet du?“ konterte ich. „Du hast eine komische Form gezeichnet, die aussah wie ein Hut und hast gesagt, das sei eine Riesenschlange, die einen Elefanten verdaut. Und du hast dir ein Schaf zeichnen lassen, aber weil das ein miserabler Zeichner war, hat er eine Kiste gemalt und gesagt, das Schaf sei da drin.“ „Das war kein miserabler Zeichner“, protestierte er, „das war der beste Zeichner, den ich je kennengelernt habe!“
Eine ganze Weile war es nun ruhig.
„Ich denke schon wie die alten Leute“, sagte er schließlich in einer ganz anderen Tonlage. „Lass noch mal sehen.“ Beide betrachteten wir nun ein kleines Pünktchen, das sich nur wenig vom Hintergrundrauschen abhob. „Ich sehe deinen Vulkan“, sagte ich. „Echt?“ „Ja. Und auch den Affenbrotbaum. Und die Blume und die Kiste mit dem Schaf.“ „Stimmt“, hauchte er fast ehrfurchtsvoll.
Eine Weile verharrten wir bei diesem Bild, sahen uns dann weitere an. „Hier, ein schwarzes Loch“, sagte ich. Daraufhin er: „Ja, man kann sehen, wie es an den Sternen zieht und sie in eine Kreisbahn zwingt.“ Die Reihe kam wieder an mich: „Und dieser rote Stern hier ist so groß, dass er bald explodieren wird. An der Oberfläche brodelt es schon.“ „Und hier“, sagte jetzt wieder der kleine Prinz, „ein Planet aus Saphiren und Rubinen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas geben kann.“ „Der hier wird gerade erst geboren.“ „Genau, er ist umhüllt von einer Scheibe aus Gas und Staub, darin entstehen neue Planeten.“ „Und der hier, der stirbt gerade. Er hat eine Gashülle abgeworfen, die bunt leuchtet.“ „Nicht einfach bunt“, korrigierte er mich, „sie leuchtet hauptsächlich im H-alpha- und im [OIII]-Licht.“ „Klugscheißer“, wollte ich schon sagen, verkniff es mir aber. Stattdessen wies ich auf einen Quasar: „Dieser helle Punkt da befindet sich schon fast am Rande des von uns aus sichtbaren Universums.“ Wir wechselten uns wieder ab: „Und der erst, der ist weiß und unglaublich schwer. Ein Teelöffel seiner Materie wiegt so viel wie ein ganzer Güterzug.“ „Und hier, schau, eine Gravitationslinse!“ „Und was ist das da für ein komischer Stern? Das Licht sagt, dass er nur aus Neon und Sauerstoff besteht, das ist wohl der Rest einer Sternexplosion.“ „Schau mal hier, ein Neutronenstern, der dreht sich 33 mal in der Sekunde um seine Achse und macht auch sonst komische Dinge.“ „Kein Wunder, dem ist sicher schwindelig.“
„Merkst du das auch?“ fragte ich, „sind das Gravitationswellen, die ich spüre?“ „ Ich glaube nicht, aber kannst du die dunkle Materie sehen?“ „Hmm, nein, ich sehe nichts, aber die soll ja auch unsichtbar sein. Ich sehe nur den Mond.“ „Ach so, ja. Aber die Neutrinos spüre ich, die kribbeln ein wenig auf der Haut.“ Und wir lachten beide.
Nun konzentrierte er sich auf ein weiteres Pünktchen. Er schien sich aber nicht sicher und schaute noch einmal hin. Ich tat es ihm nach. „Siehst du das auch?“, fragte er. „Ich glaube ja“, bestätigte ich. „Das ist ein Planet mit einem Wesen darauf, oder?“ „Ja, sieht ganz so aus.“ „Ist das etwa ein Fernrohr, das da neben ihm steht?“ „Das könnte durchaus sein. Aber schau, da gibt es noch ein zweites Wesen.“ „Ja!“ „Meinst du, die beiden schauen uns gerade an?“ „Ich glaube ja ... ja doch, es sieht wirklich so aus!“